Als 1935 in Ohio/USA die erste Gruppe der „Anonymen Alkoholiker“ zusammen trat, war es sicherlich ein großer Fortschritt, dass dieser Treffpunkt, der Hilfen für Alkoholkranke versprach, ins Leben gerufen wurde. Waren doch gerade die Jahre der Prohibition (1919 bis 1932) vorbei und Alkohol bzw. Alkoholismus in den Vereinigten Staaten verpönt.
Es war daher nicht verwunderlich, dass die Anonymität eines der wichtigsten Grundsätze von AA wurde, denn überhaupt zuzugeben, dass man ein Alkoholproblem hatte, war schon ein großer Schritt.
In Deutschland gibt es die Anonymen Alkoholiker erst seit 1953. Auch dieser – verhältnismäßig späte – Zeitpunkt ist mehr als verständlich; liegen doch 12 Jahre Nationalsozialismus (1933 bis 1945) davor. In dieser Zeit galten Alkoholiker in Deutschland als „Ballastexistenzen“ über deren „Ausmerzung“ in Euthanasieprogrammen nicht nur nachgedacht wurde.
Das öffentliche Bekenntnis, Alkoholiker zu sein, konnte lebensbedrohlich werden. Nun schreiben wir inzwischen aber das Jahr 2011. Alkohol ist längst als ernsthafte Krankheit anerkannt und Probleme des Alkoholtrinkens wie Koma-Saufen bei Jugendlichen, Unfälle und Straftaten unter Alkoholeinfluss usw. sind in den Medien durchaus präsent. Weiterhin soll aber bei AA die Anonymität gewahrt bleiben.
Ich sehe darin das Problem, dass die Stimmen derer, die Alkoholikern noch immer Schuld an ihrer Lage geben möchten, Unterstützung bekommen, indem man den offenen Umgang mit der Krankheit tabuisiert. Alkoholiker leiden häufig darunter, dass jeder die Tatsache, Alkohol sei eine Krankheit, beifällig abnickt, um im nächsten Augenblick vom Alkoholkranken zu verlangen, sich „zusammen zu reißen“ und Willensstärke zu beweisen.
Da nützt es auch nichts, dass er das Problem erkannt hat, Therapien macht und auch die Therapeuten sich schwer tun, die Krankheit erfolgreich zu bekämpfen. Der Alkoholiker steht als „willenlos“ und „charakterschwach“ da; oft nicht nur für Freunde und Angehörige, sondern – und das ist das Schlimmste – vor sich selbst.
Die eigene Einstellung zur Krankheit ist aber sehr wichtig: Man kann kaum etwas anderen so schwer verändern wie seinen „Charakter“. Also versuchen einige Kranke gar nicht erst, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Je mehr jedoch der Alkoholkranke aus seiner Anonymität heraus tritt, um so eher wird sich das Bild in der gesamten Bevölkerung vom Alkoholismus als einer unverschuldeten Krankheit einprägen.
Die Anonymität bei AA hat sicher eine gute Tradition. Aber die Alkoholiker trennt sie säuberlich von anderen Kranken. Schließlich gibt es auch keine anonymen Querschnittsgelähmten oder anonyme Herzkranke…
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