Ich wurde nicht alkoholkrank geboren. Im Juli 1949 – im thüringischen Langensalza erblickte ich das Licht der Welt – gaben mir meine Eltern den Namen MICHAEL. Kannten sie seine biblische Herkunft: „Wer ist wie Gott“? Oder war es der Gedanke, mit dem Namen ihre Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen zu verbinden? Ich weiß es nicht und werde es nie erfahren, denn beide leben nicht mehr. Eines weiß ich jedoch: die Antwort auf die Frage, warum ich zum Alkoholiker wurde, kann ich nur in mir selbst finden und in meiner Vergangenheit.
Wenn die Wurzel des Erwachsenseins in der Kindheit gelegt wird, dann habe ich sie wohl nicht gut gepflegt. Meine Mutter schrieb in ihrem Tagebuch: „… Pausbäckig, rot, mit zwei kleinen Fäustchen, die damals noch nichts kaputt machen konnten, so lag er in seinem Bettchen. So, als wenn er kein Wässerchen trüben könnte …“
In der Bibel besiegte Erzengel Michael den Teufel; ich kämpfe gegen den Teufel Alkohol, täglich, dass ich mein Leben in Trockenheit weiterlebe.
Meine frühe Kindheit und die meiner jüngeren Brüder war ringsum behütet, umsorgt von der Mutter – sie verlor die ihre während des Krieges und war im Februar 1945 zu beiden Bombentagen in Dresden – die selbst erlebtes Leid von ihren Kindern fernhalten wollte, und dem Vater, Violine spielender gelernter Kfz-Mechaniker und Kriegsheimkehrer, der sich damals an der Humboldt-Universität Berlin zum Sonderschullehrer umbilden lies, um für die in der Gesellschaft benachteiligten Kinder da zu sein.
In diesem Knabentrio, eineinhalb Jahre auseinander, bin ich der Älteste. Das bekam ich von meinen Eltern so oder so immer wieder zu hören: du bist der Kronsohn. Sie haben in mich offensichtlich hohe Erwartungen gesetzt, was sich bei meiner Mutter so liest: „Unser Micki ist ja nun schon so groß (ich war 4), dass er Wege besorgen kann. Im Konsum die Milch holen ist schon fast zur Selbstverständlichkeit geworden. Und zum Fleischer: Du lieber Gott, was ist er dann stolz, wenn er heimkommt.
Unser Großvater wohnte zu jener Zeit einige Kilometer entfernt. Es war schon ein großartiges Erlebnis, wenn wir allein zu ihm gehen durften (natürlich wussten wir nicht, dass unsere Mutter kontrollierend hinterherkam). Aber immer war da im Vorfeld die Ermahnung: „Du bist der Große. Passe auf deine Brüder auf.“ Na klar, als Kind Verantwortung tragen macht stolz und hebt das Selbstwertgefühl. Es hat bei mir, wenn ich es heute recht in Erinnerung habe, jedoch dazu geführt, dass ich mir eine gewisse Machtposition aufgebaut hatte.
Sehr schnell erkannte ich nämlich, zumal mein zweiter Bruder zum Prügelknaben wurde und der Jüngste, das „Bübchen“, eine gewisse Narrenfreiheit hatte, wie man sich bei den Eltern „lieb Kind“ machen und eigenes Fehlverhalten den Geschwistern anlasten konnte. Das hat etwas mit Lügen zu tun, denke ich, und erzeugt gleichwohl die Angst vor Entdeckung. Mit dieser kindlichen Erfahrung habe ich es später dann beim Verstecken der Schnapsflaschen und der Lüge vor mir selbst, nicht alkoholkrank zu sein, bis zu einer gewissen „Perfektion“ gebracht.
Ich fühlte mich zunehmend sicherer, jedoch gab es dann auch manche aufgedeckte Lüge mit schmerzlichen Folgen (O-Ton meiner Mutter: „Wenn ich nur nicht gleich immer so ein loses Handgelenk hätte!“). Eine der Folgen ist auch, dass meine erste Ehe gescheitert ist, scheitern musste.
Ich bin überzeugt, dass meine Probleme ihre Wurzel in meiner Kindheit haben. Das Bestreben meiner Eltern, aus ihren Kindern lebensfeste Menschen zu formen, hatte schon seinen Erfolg: es hilft mir zum Beispiel heute u.a. dem Alkohol zu widerstehen. Sie haben den Grundstein gelegt und bis zu ihrem Tod das Leben ihrer Kinder mitgelebt. Ich kann ihnen keine Vorwürfe machen.
Meine Mutter hatte geschrieben: „Wenn man glaubt, sein Kind zu kennen, so irrt man.“ Ich konnte mich damals schon gut hinter einer Fassade der Freundlichkeit und des Wohlgefallens verstecken. Was mit mir fehlgelaufen ist, wurde durch mich selbst: ich bin vor mir davongelaufen. Und es spielt in meiner Entwicklung noch etwas anderes eine wichtige Rolle: ich war schon immer sehr wissbegierig und habe quälend genervt, wenn meine Fragen nicht zu meiner Zufriedenheit beantwortet worden sind.
Dazu noch einmal aus dem Tagebuch meiner Mutter: „Was ein Fragezeichen ist, haben wir schon in der Schule gelernt. Aber was ein wandelndes Fragezeichen ist erfährt man erst, wenn man einen 4 ½ jährigen Bub hat. Kann so ein kleines Köpfchen überhaupt so viel Antworten verdauen? – Im Ofen stand ein Kochtopf mit kochendem Wasser. Und eben dieser Topf erregte seine Aufmerksamkeit. „Mutti, warum macht das Wasser soviel Dampf?“ Bums!, was antwortet man auf so eine physikalische Frage? „Nun, Mischi, das ist eben so, wenn Wasser ganz heiß ist, dann fängt es an zu kochen.“… Aber das ist eben nur eine Frage.
Nun gibt es tagtäglich mindestens 10 Fragen. Ach was, zehn langen manchmal nicht…(Es geht dort weiter mit einer Frage nach Sonnen- und Mondschein.)…Warum ist er manchmal nur ein bisschen zu sehen,…Mutti, nun sag das doch, … Mutti, das glaube ich nicht, du musst das richtig erklären!“ O ja, Michael besaß und besitzt starken Eigenwillen. Von wegen „…nun, das ist nun mal so…“ oder „Das verstehst du noch nicht.“… Ich will nur eins hoffen, dass diese kindlichen Erklärungen nicht bis zur Schulzeit haften bleiben. Denn dann wird er bestimmt mich aufklären…“
Heute, in die Vergangenheit zurückblickend, bin ich stolz auf mein Elternhaus, auf das behütete, sorgenfreie Leben. Einen 5-Personenhaushalt zu jenen Zeiten zu meistern, ohne dass „Schmalhans“ zum erkennbaren Thema für uns Kinder geworden ist, das war eine wahre Meisterleistung, besonders unter dem Umstand, dass der Vater, als einziger Verdiener, mit nur wenigen 100 Mark im Monat entlohnt worden war. Ein Lehrer, auch als Direktor einer Sonderschule, durfte damals für wenig Geld viel arbeiten.
So gesehen ist es auch verständlich, dass wir Jungs von unserem Vater nicht sehr viel hatten. Warum bin ich dann alkoholkrank geworden? Es war doch alles „stimmig“. Zu stimmig, sage ich heute. Vor meiner Einschulung 1956 zogen wir in einen kleinen Luftkurort im Thüringer Wald, wo mein Vater eine Sonderschulklasse aufzubauen hatte. In dieser dörflichen Lebensgemeinschaft galten wir als die „Zugereisten“, zumal meine Mutter gebürtige Ostpreußin und mein Vater Sudetendeutscher waren.
Eine Lehrer-Umsiedlerfamilie war damals auf dem Land durchaus etwas Exotisches. Kontakt zu den „Kindern auf der Straße“ wollte die Mutter nicht: wir sollten nicht dem „rohen Straßenleben“ ausgesetzt sein. Damit beherrschte ich es zwar, meine Brüder zu unterdrücken, nicht jedoch, mich mit Gleichaltrigen auf der Straße auseinander zu setzen. Das führte schließlich zu Kommunikationsproblemen in der Schule. Wenn ich mir keine Geltung verschaffen konnte, beflügelte mich meine Einbildung, etwas Besonderes zu sein, weil ich ja ein Lehrerkind gewesen bin. Ich begann, mir etwas vorzugaukeln, wie ich übrigens im allgemeinen eine rege Phantasie hatte.
Das ist einer der letzten Sätze aus dem Tagebuch meiner Mutter, das sie damals über zwei Jahre hinweg geführt hat: „…Da kommt er ins Träumen. Es passiert, dass er sich selber selbsterdachte Märchen erzählt. Meistens, wenn er im Bett liegt. Abgewöhnen – aber wie? Vielleicht verliert sich das, wenn er selber Märchen lesen kann. Trotzdem hält er an dem Wunsch fest, später ´mal Arzt zu werden. Ein frommer Kinderwunsch…“.
Das Leben ging weiter und ich lernte es nach und nach, mich in die Klassengemeinschaft immer besser einzuleben und Spielkameraden zu finden. Am liebsten spielte ich mit Mädchen, besonders wenn sie älter waren. Meine Mutter trat 1957 ebenfalls in den Schuldienst ein; im Fernstudium qualifizierte sie sich zur Lehrerin. Damit wuchsen für uns Jungs auch die Freiräume. Der Weg meiner Mutter war irgendwie vorprogrammiert: Für Kinder da zu sein, zunächst die eigenen, dann die „fremden“.
Es ist das Ziel unserer Eltern gewesen, ihren Kindern Abitur und Studium zu ermöglichen, was letztlich auch in Erfüllung gegangen ist. In der achten Klasse kam es zur Freundschaft mit Richard, Sohn eines selbstständigen Schuhmachermeisters. 1964 wechselte ich zur erweiterten Oberschule (Gymnasium), in die Salzmannschule Schnepfenthal. In dieser Zeit, mit 15 Jahren, hatte ich meine ersten Erfahrungen mit Alkohol. Ich erinnere mich, dass Richards Mutter eines abends eine Flasche Wermut in sein Zimmer brachte, damit wir es „gemütlich haben“.
Das fand ich gut und ging immer wieder gerne dorthin, weil diese bislang unbekannte Wirkung so ein undefinierbares Glücksgefühl bei mir erzeugte. Am Wochenende wurde es zur Selbstverständlichkeit, zum „Bietri“ zu gehen, meistens am Vormittag schon. Bei einem alpinen Skitraining brach ich mir damals den Fuß. Mit Gipsbein war ich die darauffolgenden Wochen im Internat der Oberschule. Großkotzig hatte ich schließlich, nachdem der Gips abgenommen war, meinen Zimmergenossen „einen ausgegeben“: den aufgewogenen Beingips in Bier.
Es waren 5 Liter, die wir zu dritt „zur Brust nahmen“. Ab dieser Zeit hatte ich dann meine „Ration“ immer in der Nähe: Wermut, Kognak, Rotwein, Bier … und die Lungendroge Zigaretten. Es hatte alles ganz „klassisch“ begonnen, wie es auch viele andere Betroffene beschreiben. Heute weiß ich, dass das der Anfang von der Abhängigkeit gewesen ist.
C2H5OH – Jahre im Rausch
Es hat lange Zeit des Nachdenkens gebraucht, von MEINEM Absturz zu berichten. MEINEM? Ich will dir damit sagen: sowohl aus den Gesprächen in der Gruppe als auch über die HP´s Betroffener, die sich im WEB mit IHREM Problem auch für dich geöffnet haben, ist in mir die Erkenntnis gereift, dass die Wege in die Sucht sich ähnelnde Muster haben. Ich bezeichne sie für mich als „problem way (PW)“ und „non problem way (NPW)“, und sie sind so verschieden, wie die in die Sucht gefallenen Menschen, also DU und ICH.
Meine (ganz persönlichen) Definitionen sind: PW: Meine Probleme wachsen mir über den Kopf wie auch der in mir wohnende Widerstand, mich zu öffnen gegenüber Freunden, die noch zu mir halten, oder solchen, die ich mir suchen muss, um Hilfe zu erfahren und weil mir beides fehlt verschließe ich mich in mir und stürze ab in die Bodenlosigkeit. NPW: Meine Probleme sind unbedeutend. Ich lebe fragen- und problemlos.
Es geht mir zum Belohnen gut. Ich belohne mich für mein Wohlbefinden und nehme die umfeldigen Angebote an auf Partys, Empfängen und und und … bis ich abgestürzt bin in die Sucht. Ich habe dir über meine frühe Kindheit erzählt. Es sind in meiner Erinnerung haften gebliebene und für mich durchaus wichtige Ereignisse. Wenn in der Kindheit der Grundstein für das Alter gelegt wird, hätte ich eigentlich auf einem guten Fundament stehen müssen. Heute denke ich darüber, dass es mir in all den Säuferjahren zu gut ging.
Ich habe mich mit Alkohol belohnt, habe ganz bewusst seine berauschende Wirkung zur Stimulanz gesucht und es kritiklos normal gefunden, einen Rausch zu haben. „Darauf muss ich erst mal einen trinken!“, ein Satz mit der allgemein akzeptierten Gültigkeit für gute wie schlechte Erlebnisse. Rückblickend ist es bei mir damals nach dem Sportunfall so gewesen und für mich der Anfang vom nunmehr bösen und nur durch mich steuerbaren rückfallfreien Ende. Für meinen „ungeübten“ Körper war es damals dann auch sofort zu viel.
Die Dachfläche vor der Gaube musste ich mit viel Wasser reinigen. Gelernt hatte ich herzlich wenig daraus. Wie auch. Alkoholismus ist kein gesellschaftlich diskutables Thema gewesen. Und ab und zu mal einen Rausch, mein Gott! … Wer es bis jetzt noch nicht mitbekommen hat: ich bin in der DDR groß geworden. Er ist informativ, der Hinweis auf meine Herkunft, zum Verständnis und zur Akzeptanz meines Lebensweges zu verstehen. Der Weg in die Krankheit hat mit dem Gesellschaftssystem aber wenig zu tun.
Meinen Abstieg in die Sucht möchte ich in „Etappen“ einteilen. Da war die Zeit in der Penne mit der sich anschließenden Armeezeit, danach das Studium, schließlich die Berufsjahre und endlich die „Wendejahre“. Ich denke, gerade jetzt wo ich darüber schreibe, dass es für mich lebenswichtige Abschnitte gewesen sind, sowohl Positive als auch Negative. Ich habe nicht die Absicht, meinen Lebenslauf an dieser Stelle zu präsentieren, wenn auch manches interessant sein könnte.
Auf der Suche nach Bestätigung und Anerkennung habe ich mich stets dort eingebracht, wo ich mehr oder weniger im gesellschaftlichen Mittelpunkt gestanden habe. Als Schüler in der Pionierorganisation, als Jugendlicher in der Freien Deutschen Jugend und später in der Einheitspartei, aus der ich nach einer unter Alkoholeinfluss begangenen Gesetzes-Übertretung ausgeschlossen worden bin. Dann waren da noch verschiedene Vereine und Gruppen, in denen ich aktiv gewesen bin: Singakademie, Garagengemeinschaft, Seglerverein, Singeclub.
Denke ich heute an den Beginn meiner „Säuferkarriere“ zurück, so fällt mir auf, dass sich die Sucht eigentlich schon frühzeitig bemerkbar gemacht hat. Schleichend und gemeingefährlich hat sie sich gezeigt: Bei den entsprechenden Gelegenheiten kam immer häufiger die Frage auf, ob nicht irgend etwas zu trinken da wäre. Im Singeclub war die Probe die unangenehme Pflicht, das Zusammensitzen danach bei Wermut und Bier und Herumgeknutsche der angenehmere Teil.
Und dieser Teil hatte sich in mir als der erstrebenswertere eingeprägt neben dem Drang nach beifälliger Anerkennung durch das Publikum und meine Mitstreiter zu meiner eigenen Darbietung, meinen Liedern und Texten. Während meiner Armeezeit in der Offiziershochschule Löbau, in der während des Dienstes in der Kaserne striktes Alkoholverbot galt, ist der heimliche Suff in der Unterkunft nervenkitzelnder Wettbewerb gewesen und während des Ausgangs galt die Devise, nur ein besoffener Soldat ist ein guter Soldat. Das Offiziersstudium brach ich vor dem Abschluss auf eigenen Wunsch nach fast drei Jahren vorzeitig ab.
Nachteile waren mir damals daraus nicht entstanden. Lange Zeit nach der Wende ist mir bewusst geworden, das sich mein weiteres Leben auch in anderen Bahnen hätte bewegen können. Hat es aber nicht. Zum Offizier wurde ich Ende der siebziger Jahre nach Abschluss der Zeit als „Reserve-Offiziersanwärter“ dann doch noch ernannt. In meinem alten Wehrpass steht „Leutnant d.R.“. In der Zeit zwischen Armee und Hochschulstudium arbeitete ich in meinem Heimatort in dem während der Oberschulzeit erlernten Beruf als „Gummifacharbeiter“.
Es ist heute wenig bekannt, dass es zu DDR-Zeiten über einige Jahre die Möglichkeit gegeben hat, neben dem Erwerb des Abiturs in der 4- jährigen Gymnasialzeit (damals, wie gesagt, „Oberschule“) auch einen Beruf zu erlernen. Ich wohnte damals bei meinen Eltern und noch heute habe ich die Worte meiner inzwischen verstorbenen Mutter in den Ohren: „Junge, du trinkst zu viel!“ Ihre Mahnung fiel auf keinen fruchtbaren Boden bei mir. Der Wunsch meiner Eltern war es, dass ihre Söhne auf dem ersten Weg studieren.
Das ist gemessen an ihrer eigenen Entwicklung ein sehr verständlicher Wunsch gewesen. Also begann ich in Merseburg an der damaligen Technischen Hochschule für Chemie das Studium der Verfahrenstechnik. Ständiger Wegbegleiter war zu jener Zeit für mich auch wieder der Alkohol. Die vier Jahre Studium, in denen ich meine erste Ehefrau kennenlernte, will ich nicht im Detail wiedergeben.
Heute muss ich sagen: ja, studiert habe ich auch. Vielleicht hat mich mein gesellschaftliches Engagement über die Zeit gerettet: Als Parteigruppenorganisator der Matrikel hatte ich eine besondere Stellung, was mir eigentlich erst heute so richtig bewusst geworden ist. Die Partei hatte ihre Kader nicht fallen gelassen.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Mein Studienabschluss ist mir nicht geschenkt worden. In der wissenschaftlichen Ausbildung gab es keine Abstriche, nur die Anzahl der Versuche, das Ziel zu erreichen, ist um eins erhöht gewesen. Das „GUT“ für die Diplomarbeit habe ich mir schon durch eigene Leistung erworben. Die Hochschulen boten zu jener Zeit die geplante Vermittlung der ersten Arbeitsstelle. Meine suchte ich mir selbst: mit meiner ersten Frau fanden wir in ihrer Heimat in der gleichen Firma einen Arbeitsplatz.
In jener Zeit kamen dann im Abstand von drei Jahren meine ersten Kinder zur Welt: Sohn und Tochter. Die Welt hätte so schön sein können, wenn nicht mein Problem gewesen wäre. Irgendwann, wir hatten unsere erste gemeinsame Wohnung, kam bei mir die Frage auf: warum jede Flasche Bier extra einkaufen gehen? Also musste ein Kasten her. Gleich nach der Arbeit, zu Hause angekommen: Flasche auf und Zeitung lesen. Zum Fernsehen, wie man’s aus der Werbung kennt: Glotze an – Flasche auf. Und auch die Möglichkeiten auf der Arbeitsstelle begünstigten meinen Niedergang: Geburtstage und andere Anlässe wurden zu oft Vormittage lang feiernd verbracht.
Die Krönung auf Arbeit war die Frage eines Kollegen: „Wer schmeißt mal fünf Mark nach oben?“ Das war der Preis für eine kleine Flasche „Braunen“. Damit war der Arbeitstag, leider ohne Konsequenzen für die Beteiligten, gelaufen. Und ich immer mittendrin, ohne für mich zu erkennen, dass es mein Ruin ist, mitzutrinken.
Schleichend, wie die Krankheit beginnt, dramatisierte sich der Absturz: zur täglichen Flasche Bier gesellte sich das „Schnäpschen“, bei einer Flasche und einem „Kurzen“ blieb es nicht: der an die Droge Alkohol gewöhnte Körper verlangte nach mehr. Das ist bei mir auch nicht ausgeblieben. Das Verhältnis Bier zu Schnaps wandelte sich sehr schnell zu höherprozentigen Getränken und mehr Menge. Anfangs ging ich noch in die Kneipe um die Ecke. In Gesellschaft und frisch gezapft war das Trinken gesellschaftsfähiger. Recht bald, mit steigender Menge und höherem Alkoholgehalt ist es eine Geldfrage geworden.
Das Ende ist schnell erzählt. Ich begann „heimlich“ zu saufen. Das offizielle Bier war Alibi für den Alkoholgeruch, in aller Heimlichkeit kam dann zu einem Schluck Bier eine viertel, eine halbe, eine ganze Flasche (0,7 l) Schnaps hinterher. Ich suchte nach Verstecken, die ich hier nicht alle aufzählen möchte, für die Flaschen, nach denen der Körper verlangte. Es kam zu Ausfallerscheinungen, zu Erinnerungsverlusten und Abkopplung von der Familie.
Als gesunder Leser kannst du es kaum nachempfinden, als von der Krankheit Betroffener kennst du es: Zittern am ganzen Körper, Schlafstörungen, Schweißausbrüche, Stimmungsschwankungen, Pseudoschmerzen, Bewegungsstörungen, Säufergang, Herzrasen und die ständige Angst vorm Entdecktwerden (obwohl gerade die unbegründet ist, denn deine Umwelt hat dich meist schon als krank erkannt), häufige Krankschreibung. Ich habe alles durch. Auch das sich selbst verstecken: in der Garage, in der Gartenlaube oder im Keller den Spitzenrausch anschlafen (nicht ausschlafen!), um dann weiter zu trinken.
Bevor ich endgültig zum Tod in das Boot gestiegen bin, habe ich zu mir gefunden, aus innerem Lebenswillen und mit der Hilfe meiner zweiten Frau und deren Kinder (die ich nach der Hochzeit adoptierte), die mich so vor die Wahl gestellt hatte: entweder Saufen oder eine gemeinsame Zukunft. Sie hat mir geholfen, indem sie ihr Leben gelebt hat mit der Chance für mich, daran teilzuhaben.