17 Jahre trocken … und zufrieden.

Datum:
Von:
Johanna
Erfahrungsbericht

17 Jahre trocken… und zufrieden. Mit meiner Geschichte möchte ich denjenigen, die noch mit dem Gedanken spielen, trocken zu werden oder damit Probleme haben, Mut machen und zeigen: es geht auch ohne. In diesen 17 Jahren musste manch eine Hürde, manch eine Katastrophe umschifft und überwunden werden.

Es war beileibe nicht einfach, aber es ging OHNE! Wann und warum ich alkoholabhängig wurde, kann ich nicht mal sagen. Ich bin da reingerutscht, ohne es zu ahnen. Und wie viele Alkoholiker war ich der Meinung: es merkt keiner. Ich abhängig? Im Leben nicht! Ich doch nicht! Bis zu jenem Tag im November 1989: Ich war mit einer Freundin und unseren Kindern (damals 6 Jahre alt) im Hallenbad.

Am Vormittag hatte ich schon 2 halbe Liter Bier intus und einen Flachmann Schnaps in der Badetasche. Zum Schwimmen hatte ich keine Lust und schaute zu. Die Wärme und Luftfeuchte im Bad machte mir zu schaffen, und ich ging zum Spind und nahm einen Hieb Schnaps… und noch einen und noch einen… Die Zeit war um, wie die Kinder sich umgezogen haben, weiß ich nicht mehr.

Ich kann mich nur noch daran erinnern, wie ich die Treppe zum Ausgang runterging und dann im Krankenhaus aufwachte. Mein Kind war nicht da! Was, um Himmels Willen war passiert??? Die Schwestern waren total kalt und abweisend: „Sie waren stockbesoffen! Ihr Kind ist auf Station im Hort, Ihr Mann kommt gleich. Sie haben sich das Sprunggelenk mehrfach gebrochen, Sie dürfen nichts essen und nichts trinken, Sie müssen operiert werden.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie beschissen ich mich fühlte! Ganz unten. Wie „Rotz am Ärmel“! Mein Mann kam, legte mir einen Flyer der AA´s auf den Nachttisch, sagte: „ich nehme das Kind mit nach Hause. Viel Glück.“ Und ging.
Da lag ich nun mit dem Bein in Gips und einen Riesendurst! Die Entzugserscheinungen ließen nicht lange auf sich warten. Der OP-Termin wurde immer wieder verschoben, der Durst immer schlimmer.

Um 2 Uhr früh hielt ich´s nicht mehr aus und robbte mich irgendwie zum Wasserhahn und trank. Kurze Zeit später kam der Arzt, ich solle nun operiert werden. Ach du sch…. mit dem Bauch voller Wasser ging das natürlich nicht; ich musste zugeben, dass ich Wasser getrunken hatte. Darauf der Arzt: „Alkoholiker…“

Die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt war schrecklich. Mein Selbstwertgefühl war praktisch nicht vorhanden, ich konnte keinem in die Augen sehen. Und soff weiter. Voller Selbstmitleid. Nicht so exzessiv wie sonst, aber ich soff. Bis zum 01. Februar 1990. An diesem Abend passierte was, was ich bis heute nicht genau weiß. Ohne zu überlegen oder nachzudenken, kippte ich alles Alkoholische in den Ausguss, stellte mir eine Kiste Mineralwasser und genügend Zigaretten hin und machte den Entzug.

Meinen Mann bat ich, mir das Händchen zu halten, er aber lehnte ab, er müsse um 4 Uhr früh zum Dienst und Gute Nacht. Da saß ich nun ganz allein, kippte Sprudel in mich hinein und rauchte bis in den Morgen. Anschließend war ich fix und alle und grässlich müde. Der Kreislauf im Eimer wegen der ausgeschwemmten Mineralien und ich spürte zum ersten Mal seit Ewigkeiten Hunger! Aber keinen Saufdruck!!! Auch nicht in den kommenden Wochen und Monaten. Ich hatte mehr Glück als Verstand.

Es dauerte über 2 Jahre, bis mein Selbstwertgefühl und Selbstachtung wieder da waren, wo sie hingehörten, aber ich hielt durch. Mein damaliger Mann unterstützte mich in keinster Weise.

4 Jahre später trennte ich mich von ihm, er unternahm einen Selbstmordversuch und landete in der Psychiatrie. In dieser Zeit musste ich das Haus zum Verkauf anbieten (mit seinem Einverständnis natürlich), ausräumen und für mich, meinen Sohn und den Papageien eine neue Zukunft suchen. Meine Mutter, die mit im Haus lebte, musste auch raus.

Ich zog nach Bremerhaven in eine Auffangstation für Papageien, das hielt nur 2 Monate und ich zog mit Kind und Vögel zurück nach Hannover. Scheidung, 2 Jahre Arbeitslosigkeit, Kind allein erziehen, Geldmangel, geliebte Katze begraben und ohne Beziehung waren hart. Eine kurze und heftige Affäre zwischendurch, in der mich der Typ nach Strich und Faden betrog (er „pflegte“ uns zwei Frauen gleichzeitig!), ließ mich fast schwach werden und bescherte mir eine 4 wöchige Depression.

Gottlob die einzige bisher in meinem Leben.
Ich bekam mit viel Glück einen schlechtbezahlten Job in meinem Beruf angeboten und lernte 1998 im Internet meinen jetzigen LAG kennen. Zwei Jahre lang pendelte ich zwischen Stuttgart und Hannover und verschloss meine Augen vor der Tatsache, dass er Alkoholiker ist. Ich, die es nun wirklich wissen sollte, kapierte nix!

Ich zog 2000 in die Nähe von Stuttgart, bekam einen Job und eine wunderschöne Wohnung, mein Sohn bekam auf Anhieb eine Lehrstelle, die Wochenendbeziehung lief.

Dann beschloss ich, den Kampf gegen die Sucht meines LAG aufzunehmen. Nichts leichter als das. Dachte ich… Was folgte, war eine 7 Jahre währende Achterbahnfahrt der Gefühle. Heulen, bitten, betteln, drohen, Trennungen, Versöhnungen – die ganze Palette. Bis letztes Jahr im Dezember mein Körper schlappmachte: solche Schmerzen unbekannter Genese, dass ich 5 Wochen nicht mehr laufen konnte.

Im Januar nahm mein LAG zum ersten Mal Kontakt zu Profis auf, und meinte, er mache den Entzug. Wunderbar! Ich war glücklich, die Schmerzen weg und die Beziehung lief so gut wie nie zuvor. 7 wunderbare Wochen ging das so. Bis der Rückfall kam… (siehe den Thread im Forum)
Jetzt bin ich mit meiner Kraft wieder am Ende! Aber trocken!!!

In diesen 17 Jahren habe ich nicht einen einzigen Schluck Alkohol getrunken (allerdings ein- zweimal aus Versehen. So was bleibt einfach nicht aus).

Vor einigen Wochen kam dieses lähmende Gefühl der Scham wegen damals noch einmal in mir hoch. In einem Gespräch mit meinem Sohn kam die alte Geschichte des Unfalls nochmal zur Sprache, und er erzählte, dass er von der Zeit noch alles wüsste … es dauerte eine Weile, bis ich wieder „die Alte“ war…

Sicher: ich hatte viel, viel Glück, dass ich eine solche Angst vor einem Rückfall hatte/noch habe. Dieser Unfall im Hallenbad – so grässlich er auch war – hat mir das Leben gerettet! Heute kann ich frei drüber sprechen und die 17 trockenen Jahre haben mein Selbstwertgefühl und Selbstbewussten immens nach oben katapultiert.

Und nur eines Mannes wegen werde ich das alles ganz sicher nicht aufs Spiel setzen!!!!
johanna

2 Antworten zu “17 Jahre trocken … und zufrieden.”

  1. das hast du wirklich super gemacht, vaber so etwas gibt es leider nicht in der salus nachzulernen, ich habe nach zehn jahren und 2 3 Langzeit wieder alles hingeschmissen schade sven

  2. Liebe Johanna, ich bin die Petra und jetzt 18,5 Jahre trocken. Mein Sohn (heute 27 Jahre alt) war 3 als ich mich zur Entgiftung einweisen ließ. Mein damaliger Mann trank weiter. Ich nahm ihn als abschreckendes Mittel für meine Zwecke trocken zu bleiben. Nach 5 Jahren hatte ich im Urlaub einen Rückfall, dieser dauerte 6 Monate, dann bin ich wieder zu meiner Selbsthilfegruppe gegangen und darf seitdem jeden Tag trocken leben. Klar gibt es auch in meinem Leben Höhen und Tiefen, wie bei dir und bei vielen anderen auch. Den Tod meines Vaters habe ich trocken überstanden und auch den meiner Mutter 5 Jahre später.
    Von meinem trinkenden Mann habe ich mich 1 Jahr nach meinem Rückfall getrennt. Ich hatte begriffen, dass ich ihn nicht „trockenlegen“ kann und mich seine Trinkerei nur runterziehen würde. Ich wollte aber leben.
    Heute bin ich seit 13 Jahren mit einem trockenen Alkoholiker verheiratet, wohne nicht mehr in Hannover und mir geht es gut. Einziger Schatten auf meiner Seele ist das Trinkverhalten meines Sohnes, der in die Fußstapfen seiner Eltern getreten ist – aber auch hier weiß ich, so schwer es mir auch fällt, er muss seine eigenen Erfahrungen machen und ich kann ihm nicht helfen, ich kann ihm nur weiterhin zeigen, dass ein trockenes Leben möglich uns lebenswert ist. Ich hoffe, auch er schafft es eines Tages.
    Ich wünsche dir weiterhin und allen anderen auch alles Gute auf deinem/euren Weg/en.

    Petra

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