Matthias Geschichte

Datum:
Von:
Matthias
Erfahrungsbericht

Wie beginnt man wohl eine Beschreibung seiner Säuferkarriere, am besten mit Namen und ein wenig Biographischem. Also, ich heiße Matthias und bin im Januar 1957 in Leipzig geboren. Den ersten intensiven Kontakt zum Alkohol hatte ich mit ca. 17 Jahren. Die Schule hatte ich gerade hinter mir und ging in die Lehre. Die Freizeitbeschäftigung von mir bestand aus Musik und Alkohol.

In der Clique, die aus mehreren Jungen und Mädchen in meinem Alter bestand, war es üblich, regelmäßig zu trinken. In mir löste der Alkohol alle Spannungen, ich konnte mich freier bewegen, die Kommunikation mit anderen so wie mit Mädchen, klappte besser, kurz ich fühlte mich bedeutend wohler als nüchtern. Dieses beschwingte Gefühl, immer leicht über den Boden zu schweben, es war einfach herrlich. Später wurden ausgedehnte Disco Besuche immer häufiger, die fast immer in ein Besäufnis ausarteten.

Mit der Zeit kamen die ersten Morgenbeschwerden wie leichte Übelkeit, Reizbarkeit, keinen Hunger usw., doch über die Ursache machte ich mir damals noch keine Gedanken. Ein leicht reizbarer Magen wurde zum Dauerzustand. Irgendwann entdeckte ich, dass wenn ich auf den „Kater“ wieder Alkohol trank, die Beschwerden plötzlich wie weggeblasen waren. Der sogenannte AHA-Effekt trat ein. Das war also des Rätsels Lösung. Ein Schluck am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen, sprich den Kater.

In dieser Zeit hatte ich ersten Kontakt, durch die Zeugen Jehovas, mit der Bibel. Dieses Buch lies mich nicht mehr los. Von den Zeugen Jehovas trennte ich mich ziemlich schnell, da ich ihren freien Umgang mit der Bibel nicht nachvollziehen konnte. Eine Auswirkung hatte der Kontakt doch, ich verweigerte den Wehrdienst mit der Waffe.

Die Jahre vergingen und mein Alkoholkonsum schwankte ständig zwischen viel und weniger viel, aber nie auf Null. Bei der Arbeit wurde mehr oder weniger regelmäßig getrunken was die Katersymptome in erträglichen Maßen hielt. Doch auch ab und zu für Probleme am Arbeitsplatz sorgte. Doch man war ja jung, und was schadet da mal ein Schluck während der Arbeitszeit.

Ich lernte eine Frau kennen, die meinen Alkoholkonsum versuchte zu bremsen, was ihr auch auf weiten Strecken gelang, aber nie dauerhaft. Deshalb kam es auch verschiedentlich zu Problemen zwischen uns. Es gelang mir dann immer für eine Weile trocken zu bleiben. Ja, im tiefsten Inneren meiner Seele hatte ich erkannt, dass mein Trinken anders geartet war als bei anderen. Doch den Gedanken drückte ich immer ganz schnell wieder weg.

In der Bibel fand ich Trost in schlimmen Zeiten meines Lebens, doch konnte auch der Glaube an Gott mich nicht vom Alkohol losreißen. Inzwischen wurde unsere Tochter 1981 geboren. Durch sie hoffte ich, vom Alkohol los zu kommen, aber auch das war ein Trugschluss.

Der Alkoholkonsum nahm langsam aber sicher bedrohliche Maße an. In unserer Wohnung lebten wir getrennt von Tisch und Bett, verheiratet waren wir nicht, und da kam die Einberufung zur Armee. Ich trank 3 Wochen bis zur Einberufung durch, und rückte mit schweren Entzugserscheinungen ein. Am ersten Tag bekam ich einen epileptischen Anfall und wurde ins Lazarett gebracht.

Die Armeezeit als Bausoldat, das war in der DDR der Wehrdienst ohne Waffe, verging quälend langsam. War aber nach einem Jahr für mich vorbei, da ich einen Fersenbruch hatte und dadurch dienstuntauglich wurde. Nach der Armeezeit ging es eigentlich nur noch bergab mit mir. Ich wurde zwar Mitglied einer christlichen Gemeinde, aber der Alkohol bestimmte mein Leben.

Auf Arbeit wurde ich zum Hofarbeiter degradiert, ich bin heute noch dankbar, dass ich nicht entlassen wurde, denn das wäre das Ende für mich gewesen. Mal war ich auf Arbeit mal nicht, einen Krankenschein fälschte ich um Fehltage zu kaschieren, was natürlich aufflog und mir eine Strafanzeige des Betriebes einbrachte, die aber Gott sei Dank wegen Geringfügigkeit nicht weiter verfolgt wurde.

Jetzt suchte ich Hilfe und machte eine Entziehungskur von einem viertel Jahr. Nach der Entlassung war mein Ziel, nur noch gelegentlich zu trinken, das Resultat: Ich trank gelegentlich nicht – doch nur aus Geldmangel, die Sucht hatte mich wieder voll im Griff.

Die Mutter meiner Tochter, meine Frau war sie nicht und wollte sie auch nicht sein, erkundigte sich nach Hilfen für mich, und über eine Patentante meiner Tochter, bekam ich 1987 Kontakt mit dem Blauen Kreuz, damals noch AGAS (Arbeitsgemeinschaft zur Abwehr von Suchtgefahren), denn Vereine waren in der DDR verboten, und so wurde unter dem Dach der Inneren Mission in Leipzig die Alkoholikerarbeit von der AGAS getan.

Anfangs dachte ich, als ich dort von Alkoholikern hörte, die „FREI“ geworden waren, die spinnen ja alle, ohne Alkohol geht es nicht im Leben. Doch probieren geht über studieren, und ich versuchte das Leben trocken zu meistern. Nach einem viertel Jahr der Rückfall. Kurz entschlossen fuhr ich 10 Tage, mit ca. 30 Alkoholikern, nach Schmannewitz zu einer Besinnungswoche. Gespräche über Gott, Bibel und die Sucht wurden täglich geführt.

In der Bibel kannte ich mich gut aus, was alle erstaunte, aber meine Alkoholsucht konnte ich damit nicht besiegen. In dieser Besinnungswoche führte ich ein seelsorgerisches Gespräch, Beichte sagt man vielleicht auch dazu, in dem ich mein Leben offen legte. Das heißt mein Leben mit all den Schandtaten die ich anderen angetan hatte, Frau und Tochter als ein Beispiel. Vor Gott legte ich mein bisheriges Leben offen, und ihn bat mir zu vergeben. Von der Stunde an wusste ich, ich brauche nicht mehr trinken. Ich wusste es, aber die anderen nicht.

Die Frau zog nach ein paar Wochen mit der Tochter aus, und ich saß in einer halbleeren Wohnung mit der Gewissheit, ich trinke nicht mehr. Ich hatte erkannt, der Alkohol ist immer stärker als ich. Ich werde ihn nicht besiegen, mit Gottes Hilfe wurde das Unmögliche möglich.

Auf Arbeit normalisierte sich nach einiger Zeit wieder alles, obwohl keiner so recht daran glauben konnte, dass ich weg von der Flasche war. Doch mein Leben legte Zeugnis für mich ab. Die Flasche war mich los.
Nun das ist jetzt 10 Jahre her und ich bin „FREI“ vom Alkohol, wenn das Wort frei vielleicht auch von manchen als übertrieben oder eingebildet gedeutet wird.

Ich erlebe es jeden Tag aufs Neue, es gibt einen Unterschied zwischen trocken und frei. Es lässt sich für jemanden, der das nicht selber erlebt hat, schwer nachvollziehen was da passiert. Erklären kann ich es auch nicht, aber ich erlebe es jeden Tag aufs Neue.
Seit 3 Jahren habe ich wieder eine Familie. Ich lebe mit einer wunderbaren Frau und ihren 3 Kindern zusammen.

Die Frau trinkt aus Solidarität zu mir keinen Alkohol, Konflikte und Reibungspunkte gibt es bei uns genauso wie in jeder anderen Familie auch. Doch ohne Alkohol ist die Konfliktlösung eine ganz andere.
Matthias Leipzig, Frühjahr 1998

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