Mein Leben im Suff und danach

Datum:
Von:
Peter
Erfahrungsbericht

Mein Name ist Peter, ich bin Jahrgang 1948 und habe mit 15 Jahren im öffentlichen Dienst angefangen. Dort wurde zu der Zeit noch sehr viel Alkohol getrunken. Da die Kollegen alle viel älter waren als ich, wollte ich natürlich mithalten. Wir bzw. ich hatte ja auch immer einen Grund zum Trinken: im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt, dann hatte es geregnet, die Ehefrau hatte schlechte Laune, die Kinder waren zu laut, und und und – es gab immer einen Grund. So dachte ich damals. 1977 ist für uns alle (ich habe noch 3 Geschwister) unerwartet meine Mutter verstorben, was mich etwas herunter gezogen hat.

Bin dann sehr oft angetrunken nach Hause gekommen. Diese Zeit war der Grundstein für mein ganzes späteres Leben und meine Karriere als Alkoholiker. Habe dann aber nach 5 Jahren im Öffentlichen Dienst den Arbeitgeber gewechselt und an einer Tankstelle angefangen – und mich dann einigermaßen gefangen. Also am Tage wurde nicht getrunken, weil mir diese Arbeit auch sehr viel Spaß gemacht hat.

Nach wiederum 5 Jahren habe ich dann wieder in den Öffentlichen Dienst gewechselt, weil da ein Straßenwärter gesucht wurde. Dort ging die Sauferei wieder los. In der Freizeit, also nach Feierabend, bin ich zu meinen von mir gepachteten Fischteichen gefahren, und habe mir dort, wo es ja auch keiner gesehen hat, zuerst ein paar Flaschen Bier genehmigt. Ich bin dann mit der Zeit immer tiefer gesunken.

Ratschläge von der Familie und Bekannten wurden ignoriert. Denn die hatten ja alle keine Ahnung!!!!!! Da mich, wie ich nachher erfahren habe, die Polizei im Visier hatte, habe ich dann – was natürlich ist – den Führerschein verloren, denn im Lenkrad meines VW Käfers war ein Geruchsensor, ohne Alkoholgeruch ist der Motor erst gar nicht angesprungen. So mein Reden heute. In der Familie – ich habe 2 Kinder – ging es dann auch bergab.

Meine Ehefrau hat mich mit den Kindern verlassen und die Scheidung eingereicht. Ich war jetzt alleine und ganz, ganz unten. Ich stand nur einige Zentimeter vor der Gosse. Zu der Zeit hatte ich aber nacheinander mehrere Monaten mit Abständen im Krankenhaus verbracht, mit einer schweren Pankreatitis. War immer das gleiche: trocken legen, mit Schonkost wieder das Essen anfangen und dann entlassen werden.

Ich war ja nicht alkoholkrank. Nach einer Woche ging die Sauferei wieder los, und nach einer weiteren Woche oder 2-3, war ich wieder im Krankenhaus, und das Ganze ging von vorne los. Nur jedes Mal ein anderes Krankenhaus. Jetzt hatte ich ja auch die Zeit dafür, da ich meinen Job in der Zwischenzeit auch verloren hatte. Habe dann nur schwarz gearbeitet, abends das Geld abgeholt, und dann ab in die Kneipe – alles versoffen, manchmal an einem Abend 100,00 DM.

Am nächsten Morgen mit zittrigen Händen, Übelkeit im Magen, einem dicken Kopf, Flasche Bier, ein zwei Korn, dann ging es für einige Stunden wieder. Dann musste nachgetankt werden. Dieses Leben habe ich fast ein ganzes Jahr ausgehalten. Hatte in der Zeit ca. 20 Kilo abgenommen. Als ich das letzte Mal in einem Krankenhaus gelegen habe, war da eine zierliche Ärztin, die mir gesagt hat, Herr …, saufen sie ruhig so weiter, ein Jahr, bis dass sie den Löffel abgeben, schaffen sie noch.

Das hatte mir unheimlich zu denken gegeben. Ich bin dann aus dem Krankenhaus heraus zu einer in unserer Nähe befindlichen Rheinischen Landesklinik gefahren und habe mich nach einem Termin für eine Entgiftung und Therapie erkundigt. Mir wurde dann ein Termin in einer Woche angeboten, den ich auch angenommen habe. Freitags morgens wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen.

Als ich wieder nach Hause kam, waren in den Türen andere Schlösser, so dass ich jetzt auch kein Dach mehr über dem Kopf hatte. In der Wohnung war meine Frau mit den Kindern. Ich war ganz unten in meinem Leben angelangt. Keine Familie mehr, kein Dach mehr über dem Kopf, keinen Führerschein, keine “ Freunde “ – nichts mehr. Meinem Vater konnte und wollte ich nicht mehr unter die Augen treten, meine Geschwister hatten sich von mir abgewandt.

Ich war in meinen Augen der ärmste Mann der Welt. Alle wollten mir nur Böses. Bis Sonntagabend habe ich dann durchgesoffen. Ich hatte mir in einem Hotel ein Zimmer genommen. Montags bin ich dann in die Klinik zur Entgiftung gefahren, wo ich 2 Wochen war. Es war die Hölle für mich. Erstens mein Befinden, und dann noch die anderen Patienten, und das eingeschlossen zu sein. Nach der Entgiftung habe ich mit einer Therapie, die zuerst auf 4 Monate angesetzt war, begonnen.

In den ersten 3 Monaten habe ich überhaupt nichts verstanden und begriffen wo ich war. Dann habe ich erst das Denken angefangen. Meine Noch-Ehefrau kam dann (es war das einzigste Mal, dass sie mich besucht hat) und berichtete mir, dass sie von meinem, was ich dachte er sei mein bester Freund, schwanger sei. Ich habe dann den zu dieser Zeit noch getragenen Ehering ausgezogen und ihn in die Toilette geworfen und für mich das Kämpfen angefangen. Ich wollte leben.

Dann kam der Termin der Scheidung, was mich aber kalt gelassen hat. Ich wusste, es gibt kein Zurück mehr für mich, nur noch nach vorne. In der Therapie lernte ich dann meine zweite Ehefrau kennen, die tablettenabhängig war und auch am Boden zerstört war. Im Januar 1982 ist dann auch mein Vater gestorben. ——- hat mich zu dieser Zeit mit Rat und Tat unterstützt, hat mich an der Hand gepackt und mir gesagt, nur noch diese Richtung, immer gerade aus, nicht rechts oder links.

Als wir uns genähert hatten, wurde unser Verhalten auch von unseren Therapeuten hinter vorgehaltener Hand gebilligt. Wir sind dann nach der Therapie zusammengezogen, in einer für mich neuen Umgebung, mit neuen Freunden, und haben nach sehr langen Überlegungen uns dazu entschlossen, wir beide wollen noch ein Kind, und wir wollen dann aber auch heiraten, was dann auch beides in Erfüllung gegangen ist. In der Zwischenzeit hatte ich eine Umschulung gemacht, mit einem sehr guten Abschluss, und einen neuen Arbeitgeber gefunden.

Den neuen Kollegen habe ich am Anfang nichts von meiner Abhängigkeit erzählt, erst nach einigen Monaten, zu denen ich Vertrauen hatte, und dass meine Krankheit nicht sofort an alle weitererzählt wurde. Ich habe mich dann aber in meiner Freizeit in viel Arbeit verkrochen, Aushilfsjobs, um auch noch etwas dazuzuverdienen, denn mein Sohn war in der Zwischenzeit geboren worden. Zu den Kindern aus erster Ehe hatte ich nur wenig oder keinen Kontakt, der dann aber nach einiger Zeit ganz abgebrochen ist, was mir sehr wehgetan hat.

Ich bin aber trotzdem standhaft geblieben. Ich hatte wieder eine Familie und war auf der anderen Seite glücklich. Meine zweite Ehefrau ist dann aber nach langer schwerer Krankheit 1998 verstorben, und mein Sohn und meine ältere Tochter, zu der ich wieder Kontakt hatte, haben mir den nötigen Halt gegeben, so dass ich wieder standhaft geblieben bin. Nach einigen Jahren habe ich dann eine neue Ehe versucht, was aber voll daneben gegangen ist, und ich diesmal mit den Nerven am Ende war und eine Therapie in einer Klinik antreten musste.

Sie hatte mich angezeigt, ich hätte Eigentum meines Arbeitgebers im Keller, was sich aber bei einer Hausdurchsuchung durch die Polizei nicht bewahrheitet hatte. Sie ist dafür auch bestraft worden, weil die Kripo schnell gemerkt hatte, was sie wollte. Sie wollte mich zerstören und am Boden sehen. Aber wieder alles ohne Alkohol. Dann lernte ich meine jetzige Lebensgefährtin kennen. Seit Mai 2004 haben wir eine gemeinsame Wohnung (ich habe meine Wohnung in ….. noch, wo aber jetzt mein Sohn wohnt), und wir beide sind sehr glücklich.

Den ersten Streit haben wir noch vor uns. Meinungsverschiedenheiten haben wir schon mal, aber das kommt in den besten Familien vor. Ich habe in all den Jahren gelernt, dass alles nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird, und das Wichtigste im Leben, das Miteinander-Reden und -Leben ist, und nicht nebeneinander herleben. Seit Anfang des Jahres arbeite ich, nachdem ich meinen Job wegen einer Betriebsschließung verloren habe und in meinem Alter auch nichts Neues finde, als Ehrenamtlicher Mitarbeiter bei einem Suchtnotruf.

Ich kann dort mit meinem Wissen anderen Menschen helfen. Diese Arbeit macht mir viel Spaß. Zu meiner anderen Tochter habe ich seit einigen Monaten auch wieder einen guten Kontakt. Sie hat mich, als ob nichts gewesen wäre, angerufen, und mir mitgeteilt, dass ich Opa bin, worüber ich mich riesig gefreut habe. Der erste Enkel für mich, er ist einfach süß. Also hat der liebe Gott doch in all den Jahren ein Auge auf mich geworfen und mich nicht fallen gelassen.

Dafür bin ich Ihm jeden Tag dankbar. Ich kann aber heute (mit Stolz?) sagen, ICH HABE BEWUSST DEN LETZTEN ALKOHOL AM 13.01.81 GETRUNKEN. Es kann sein, dass ich irgendwann etwas gegessen habe, wo eventuell ein Tropfen? zur Geschmacksverfeinerung drin war, was ich aber auch nicht wissen will. Bei uns wird grundsätzlich nur ohne Alkohol gekocht. Ich wünsche allen!!!!!!!, die Probleme mit Alkohol haben, dass diese Menschen (denn wir sind alle Menschen) irgendwann das gleiche von sich behaupten können.

Es ist keine Schande ein Alkoholiker zu sein, aber es ist eine Schande nichts dagegen zu tun.
Einige Sachen habe ich einfach vergessen, oder ich will mich nicht mehr daran erinnern, wie mich z. B. die ehemaligen Saufkumpane nachher ignoriert haben. Wenn ich das alles noch berichten wollte, wäre das Ganze noch ein Blatt länger geworden.
Ich wünsche allen, die dieses lesen, dass sie trocken werden, bzw. trocken bleiben.
Peter

3 Antworten zu “Mein Leben im Suff und danach”

  1. habe das zufällig gelesen. Ich muß sagen, daß mir dieser Bericht Respekt abgenötigt hat. Chapeau, mein Freund! Und alles Gute für Dein Leben

  2. Lieber Peter,
    Vielen Dank für deine ehrliche Geschichte und deine offene Beschreibungen über dein Leben mit dem Alkohol.
    Ich denke, dass viele Menschen von dir profitieren können, ich vor allem tue es….
    Es gibt viel was es zu bewältigen gilt im Leben, doch der Alkohol ist das Schlimmste. Man könnte fast sagen, dass man dem Sterben zu schauen kann und beobachtet das unaufhaltsame Heranschreiten des Zerfalls.
    Dem Vater, der Mutter, dem Mann, mir selbst und vielleicht bei großer Sichheit sogar irgendwann dem geliebten Sohn.
    Und es geht noch Schlimmer. Ja. Und das macht Mut…
    Dass es Hoffnung auf Heilung gibt.
    Danke für deine Geschichte…
    Viele Grüße

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